Riester-Rente: Behörde holt rechts­widrig Zulagen zurück

700 Millionen Euro an Förderung hat der Staat Riester-Sparern 2012 wieder abge­nommen. Die Betroffenen können sich die Gründe häufig nicht erklären. Finanztest hat heraus­gefunden: Mit der Rück­hol-Praxis verstößt der Staat in manchen Fällen sogar gegen geltendes Recht und beschert den Bürgern durch über­lange Bearbeitungs­zeit zusätzliche Verluste.

Behörde holt 700 Millionen zurück

Etwas ist gehörig faul im Riester-Sparer­land. Die Förderung, die der Staat für die ergänzende Alters­vorsorge zur Verfügung stellt, nimmt er vielen einige Jahre später wieder weg. Und das nicht nur ohne Vorwarnung, er verstößt dabei auch schon mal gegen die eigenen Vorschriften. Im Jahr 2012 ließ die Zentrale Zulagen­stelle für Alters­vermögen (ZfA) 700 Millionen Euro von den Spar­guthaben der Riester-Sparer durch die Anbieter wieder einziehen. Und das nur für die drei Jahre von 2008 bis 2010. Dabei handelt es sich um fast 10 Prozent aller Zulagen, die die ZfA im gleichen Zeitraum ausgezahlt hat. Nach Angaben des zuständigen Bundes­finanz­ministeriums (BMF) erhielten Anleger zwischen 2008 und 2010 7,2 Milliarden Euro. Als wir unsere Leser nach ihren Erfahrungen mit der Rück­buchung von Zulagen fragten, meldeten sich in kurzer Zeit etwa 60 Riester-Sparer. Die Reaktionen: kritisch, sarkastisch, empört. Viele bemängeln Intrans­parenz, sehr lange Reaktions­zeiten der ZfA, aber auch Fehlberatung durch die Anbieter der Riester-Verträge.

Keine Rück­buchung nach vier Jahren

Doch die größte Über­raschung für uns war: Die ZfA kassiert selbst dann Zulagen wieder ein, wenn sie es laut Abgaben­ordnung, die die Rück­buchung von Zulagen regelt, gar nicht darf. Vier Jahre hat die Zulagen­stelle Zeit, Zulagen zurück­zubuchen, wenn eine Prüfung ergibt, dass Sparer sie zu Unrecht erhalten haben. Die Frist beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die Zulage beantragt wurde. Hat ein Sparer beispiels­weise seine Zulage für 2005 im Jahr 2006 beantragt, startet die Frist am 1. Januar 2007 und endet am 31. Dezember 2010. Die ZfA prüfe „weit­gehend auto­matisiert“, so ein Sprecher des Bundes­finanz­ministeriums. Nach der vierjäh­rigen Frist sind Aufhebungen oder Änderungen nicht mehr zulässig.

Ministerium weiß um Regel­verstöße

In einem internen Vermerk aus dem Bundes­finanz­ministerium, der Finanztest vorliegt, heißt es zu den Rück­buchungen der Förderung: „Die zentrale Stelle fordert in bestimmten Fällen trotz Ablauf der Fest­setzungs­frist Zulagen zurück und ‚zwingt‘ den Steuer­pflichtigen, den Fehler der Verwaltung im Rahmen des Fest­setzungs­verfahrens zu korrigieren.“ Auch die zum Teil sehr lange Bearbeitungs­zeit und die beschränkte Möglich­keit von Verbrauchern, Fehler der ZfA zu korrigieren, wird intern aufgegriffen:„Die Bearbeitungs­dauer für einen entsprechenden Fest­setzungs­antrag liegt bei weit über einem Jahr.“ Das Schreiben zeigt, dass den Beamten die Brisanz dieses Vorgehens durch­aus bewusst ist, wenn es weiter heißt: „Es könnte öffent­lich kaum vertreten werden, dass es sich hierbei um ein sinn­volles Verfahren handelt. Bereits jetzt wird das auto­matisierte Rück­forderungs­verfahren (ohne Anhörung) hinterfragt (Anfrage Finanztest).“

Was Kunden tun sollten

Konfrontiert mit der regelwid­rigen Vorgehens­weise der Behörde teilte uns das Bundes­finanz­ministerium mit, die ZfA sei nun angewiesen, „bei Beitrags­jahren, die mehr als vier Jahre zurück­liegen, keine voll­maschinellen Rück­forderungen mehr vorzunehmen“. Unsere Frage, wie viele Riester-Sparer durch verspätete Rück­forderungen allein im Jahr 2005 zu Schaden gekommen sind, konnte der Ministeriums­sprecher nicht beant­worten. Dies lasse sich „nur im Einzel­fall ermitteln“. Laut BMF-Vermerk hat die Zulagen­stelle jedoch alleine für das Beitrags­jahr 2005 in 84 410 Fällen die Zulage erst nach Ablauf der Frist „neu berechnet und damit teil­weise zurück­gefordert“. Finanztest rät Kunden, denen die ZfA erst nach Ablauf der Vier­jahres­frist die Zulagen ganz oder teil­weise storniert, einen Antrag auf Fest­setzung der Zulage zu stellen und dabei auf die Frist­überschreitung hinzuweisen.

Kunden fühlen sich allein gelassen

Doch nicht nur die Rück­buchungen an sich verärgern Kunden. Auch wie ZfA und Anbieter mit ihnen umgehen, stößt auf viel Kritik. So wissen Udo Schöff­mann und seine Frau Christiane Stumpf aus Pohlheim bei Gießen bis heute nicht, weshalb ihnen die Kinder­zulage für ihre beiden Kinder Julius und Rie-Luise wieder abge­nommen wurde. Als das Ehepaar Anfang dieses Jahres erfuhr, dass die ZfA ihre Kinder­zulagen für das Jahr 2007 im Jahr 2012 wieder zurück­gefordert hatte, war das für Schöff­mann ein Rätsel. „Warum sollten wir aber plötzlich keinen Anspruch mehr auf die Kinder­zulage haben? Es hatte sich seit Vertrags­beginn 2002 doch nichts Grund­legendes geändert“, sagt der 47-jährige Beamte. Versuche, die Angelegenheit mit dem Anbieter zu klären, führten zu nichts. „Erst nach viel Hin und Her teilte man mir dann schließ­lich bei der ZfA mit, dass ich einen Antrag auf Fest­setzung der Zulage stellen müsse“, sagt Schöff­mann. Mitte März dieses Jahres schickte Schöff­mann den Antrag los. Als die ZfA bis Ende Juli abge­sehen von einer Empfangs­bestätigung nicht reagiert hatte, fragte er telefo­nisch nach. Die Antwort: Die Über­prüfung könne noch etwa ein bis zwei Jahre dauern.

Bei langen Bearbeitungen droht weiterer Verlust

Für Sparer, die nicht wissen, was sie eigentlich falsch machen, können solch lange Bearbeitungs­zeiten zu weiteren Verlusten führen. Wie sollen sie einen Fehler korrigieren, den sie gar nicht kennen? So schreibt uns beispiels­weise Wilfried Buch­steiner, es sei zwar unter enormem bürokratischen Aufwand gelungen, die zurück­geforderten Zulagen teil­weise wieder erstattet zu bekommen. „Was uns jedoch noch immer nicht gelungen ist, ist die neuerliche Aberkennung der Zulagen für die folgenden Jahre abzu­wenden. Anfragen und Klärungsversuche beim Versicherer, aber auch bei der Zulagen­stelle verlaufen im Nirwana der Formalbürokratie“, klagt er. Für die Eheleute Schöff­mann und Stumpf kam es dann jedoch anders als erwartet. Entgegen der Ankündigung der Behörde flatterte schon eine Woche später der Bescheid ins Haus: Die Kinder­zulagen für 2007 waren wieder auf dem Konto. „Ich finde es einen unhalt­baren Zustand, dass man erst mal will­kürlich kürzt und sich dann in manchen Fällen offensicht­lich jahre­lang mit der Über­prüfung Zeit lässt“, sagt Schöffmann.

Verluste durch Falsch­beratung

Auch Constantin Körner ist verärgert. Der 29-jährige Assessor aus Mühlheim an der Ruhr hat Ende des Jahres 2005 als 21-jähriger Jurastudent einen Riester-Vertrag bei der Generali Versicherung abge­schlossen. Den Vertrag hatte ihm seine Haus­bank, die Commerzbank, vermittelt. „Sie hatte mir dringend zur Alters­vorsorge geraten und blumig vorgerechnet, dass ich mir mit nur 10 Euro monatlich die staatlichen Zulagen sichern würde. Was kann man da falsch machen?“, sagt Körner. Eine ganze Menge, wenn die Beratung nicht stimmt. Denn entgegen der Aussage seines Vermitt­lers gehörte Körner als Student gar nicht zum förderberechtigten Personen­kreis. Nur wer in der gesetzlichen Renten­versicherung pflicht­versichert oder Beamter ist, ist auch unmittel­bar förderberechtigt. Das sind Studenten aber normaler­weise nicht. Es sei denn, sie haben neben ihrem Studium oder in den Semester­ferien einen sozialversicherungspflichtigen Job. Auch eine mittel­bare Förderung über einen förderberechtigten Ehepartner traf auf Körner nicht zu.

Auch Ärger für riesternde Beamte

Erst Anfang dieses Jahres fiel ihm auf, dass alle seine Zulagen wieder abge­zogen wurden: 658 Euro „zurück­gezahlte staatliche Zulagen“ stand lapidar in der Stand­mitteilung der Generali. Der Ärger ist ihm immer noch anzu­merken: „Ich habe seit Ende 2005 im Glauben daran, etwas Gutes für meine Rente zu tun, in ein Finanz­produkt investiert, das für mich gar nicht passt! Einzig und allein meine Haus­bank hat verdient, indem sie sich üppige Bearbeitungs- und Depot­verwahrungs­gebühren einge­strichen hat.“ Auch Martin Karle berichtet uns, dass bei seiner Lebens­gefähr­tin und vier ihrer Kolleginnen fast alle Zulagen wieder zurück­gebucht wurden. Der Grund: Die Berater hatten ihnen nicht erklärt, dass sie als riesternde Beamte ihrem Arbeit­geber die Erlaubnis geben müssen, Daten, die die ZfA zur Berechnung der Zulage braucht, weiterzugeben. Denn anders als bei gesetzlich Renten­versicherten hat die Behörde bei Beamten auf diese keinen auto­matischen Zugriff. Und ohne Informationen gibt es keine Zulage. Den Beratern ihre Nach­lässig­keit nach­zuweisen, dürfte schwierig sein.

Verluste durch entgangene Wert­entwick­lung

Auch Finanztest-Leserin Martina Nagel gingen Kinder­zulagen für fünf Jahre verloren. Die ZfA hatte offen­bar die falsche Kinder­geldkasse befragt. Zwar konnte die Kundin, die in eine Fonds­police investierte, den Sach­verhalt klären und sie bekam die Zulagen wieder. Aber damit ist es für sie nicht getan. „Es ist nicht akzeptabel, wenn nun für die Zulagen­gutschrift Fonds­anteile zu aktuell hohen Kursen und ohne Anlage der Erträge der Vorjahre gekauft würden“, schreibt sie uns. Allein durch die Bearbeitungs­dauer von mehr als einem Jahr seien ihr Wert­entwick­lungen entgangen. Auch hätte sie an thesaurierten Ausschüttungen von Dividenden, die wieder im Fonds angelegt wurden, teilnehmen müssen. Sie fordert von der ZfA, so gestellt zu werden, wie sie bei ordnungs­gemäßem und zeitgerechtem Ablauf gestanden hätte und will dies jetzt auch vor Gericht einklagen. Auch Constantin Körner wehrte sich. Nachdem die Commerz­bank ihm wochen­lang weder auf Mails noch auf Faxe geant­wortet hatte, wandte er sich an den Banken-Ombuds­mann. Das half. Der Vertrag wurde gekündigt und die einge­zahlten Beträge zurück­gezahlt. Sogar ein biss­chen Schaden­ersatz bekam er nach einigem Hin und Her: 100 Euro – natürlich „rein aus Kulanz“.

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Ein Beitrag unserer/s Leserin/s Bertram Hasch aus Rotenburg (Wümme) in Niedersachsen.
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