Haben Bakterien einen Kompass? – Die Frage des Tages

Wissenschaftler unterscheiden heute drei Hauptgruppen – sogenannte Domänen – von Lebewesen: Bakterien, Archaeen und Eukaryonten. Pilze, Pflanzen, Tiere und Menschen werden den Eukaryonten zugerechnet, weil ihre Zellen einen abgegrenzten Kern besitzen; darin befindet sich das Erbmaterial.

Bei Bakterien und Archaeen liegt das Erbmaterial frei in der Zelle. Die Welt der Bakterien zeichnet sich durch eine enorme Vielfalt aus. Warum vergleichen Forscher manche von ihnen mit Kompassnadeln?

Antwort: Bakterien bestehen ebenso wie die Archaeen, die sich von ihnen unter anderem aufgrund von Bausteinen in den Zellwänden unterscheiden, aus einer Zelle. Im Naturhaushalt sind Bakterien, die in Millionen von Arten vorkommen, unter anderem deshalb wichtig, weil sie zur Zersetzung der Überreste von Lebewesen beitragen. Menschen machen sich zunutze, dass Bakterien bestimmte Eiweißstoffe – sogenannte Enzyme – herstellen, die biochemische Reaktionen in Gang setzen. So helfen sie beispielsweise als Bestandteil von Waschmitteln, Fett und Stärke zu spalten. Auch in der Lebensmittelindustrie werden solche Enzyme eingesetzt. Wie breit die Palette der besonderen Eigenschaften von Bakterien ist, lässt sich auch an den Organismen der Gattung Magnetospirillum ablesen. Sie sind in der Lage, das Erdmagnetfeld zur Orientierung zu nutzen. Damit verfügen sie über eine Fähigkeit, die Wissenschaftler in den vergangenen Jahren auch bei zahlreichen Tieren nachgewiesen haben, von Zugvögeln über Lachse bis hin zu Meeresschildkröten.

Mit ihren magnetischen Eigenschaften sind die Bakterien, die von Forschern mit Kompassnadeln verglichen werden, auch für Biotechnologen und Mediziner interessant. Auch deshalb hat die ‚Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie‘ (VAAM), die mehr als 3.500 Wissenschaftler vertritt, Magnetospirillum zur Mikrobe des Jahres 2019 erklärt. Mikrobe ist ein anderer Ausdruck für Mikroorganismus, das heißt Kleinstlebewesen.

Bakterien mit magnetischen Eigenschaften wurden erstmals im Jahr 1963 beschrieben, und zwar von dem Italiener Salvatore Bellini. 1990 gelang es Dirk Schüler, damals Student in Greifswald und heute als Professor für Mikrobiologie an der Universität Bayreuth tätig, Bakterien der Gattung Magnetospirillum aus dem Schlamm eines kleinen Flusses zu isolieren. Die von ihm entdeckte Art wird als Magnetospirillum gryphiswaldense bezeichnet. Erforscht hat Schüler die magnetischen Bakterien nach seiner Greifswalder Zeit auch einige Jahre lang am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen (MPI) – unter anderem gemeinsam mit dem Institutsdirektor Professor Rudolf Amann.

Wie Wissenschaftler herausgefunden haben, befinden sich im Innern der Bakterien Ketten magnetischer Kristalle. Spezielle Enzyme befördern elektrisch geladene Eisenteilchen aus der Umgebung in die Bakterienzelle, so dass Ketten aus 15 bis 30 Eisenoxidkristallen entstehen. Bei Eisenoxiden handelt es sich um chemische Verbindungen aus Eisen und Sauerstoff. Die Kristalle werden von einem Skelett aus langen Eiweißfäden in der Zellmitte gehalten. Zusammen wirken sie wie ein Magnet beziehungsweise wie eine Kompassnadel. Bereits 2005, während seiner Zeit am Bremer Max-Planck-Institut, veröffentlichte Schüler gemeinsam mit Kollegen eine Studie, die zeigte, wie es die Bakterien schaffen, die als Magnetosomen bezeichneten magnetischen Teilchen zu einer stabilen Kette anzuordnen.

Nach Angaben des Bremer Instituts sind Mikroorganismen der Gattung Magnetospirillum im Schlamm von Gewässern weitverbreitet. Ihre magnetischen Eigenschaften nutzten die Bakterien in Verbindung mit einem Sauerstoffsensor, um sich im Schlamm stets dorthin zu begeben, wo sie sich am wohlsten fühlten. Schüler vermutet, dass ihre schraubenförmige Gestalt den Mikroorganismen hilft, sich rotierend fortzubewegen. Dank ihrer Möglichkeit, sich am Erdmagnetfeld auszurichten, sei es für sie vergleichsweise leicht, sich zu orientieren. Eine niedrige Sauerstoffkonzentration, wie sie optimal für sie sei, nähmen sie mithilfe spezieller Eiweißstoffe wahr, die als Sensoren dienten.

Wie die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie erklärt, sind die winzigen natürlichen Magnete künstlich hergestellten Teilchen mit ähnlichen Eigenschaften überlegen. In Laborversuchen hätten isolierte Magnetosomen, was die Wirksamkeit angehe, kommerzielle magnetische Kontrastmittel übertroffen. Interessant seien die Magnetosomen der Bakterien deshalb nicht zuletzt für bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie. Wenn ein starkes Magnetfeld angelegt wird, erzeugen die Magnetosomen den Expertenangaben zufolge in Zellen und Geweben Wärme. Das kann die Möglichkeit eröffnen, mit ihrer Hilfe Tumore zu verkleinern.

 

Ein Beitrag unserer/s Leserin/s Heiner Rispert aus Tutzing in Bayern.
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