Scheinselbständigkeit: Was Unternehmer und Selbständige beachten sollten – ein Ratgeber

Für viele Kleinunternehmer und Selbständige ist die Scheinselbständigkeit ein ständiges Problem. Das liegt vor allem daran, dass es in Deutschland keine harten Regeln für die mögliche Scheinselbstständige gibt. Trotzdem sollten sowohl Auftragnehmer als auch Auftraggeber stets genau prüfen, ob das Risiko einer Scheinselbstständigkeit vorliegt. Der Grund ist, dass die finanziellen Konsequenzen gravierend sind. Im schlimmsten Fall müssen Arbeitgeber die Beiträge zur Sozialversicherung für die vergangenen 30 Jahre nachzahlen. Wie das Risiko einer Scheinselbstständigkeit abgeschätzt und was dagegen getan werden kann, können Sie im Folgenden lesen.

Welche Merkmale deuten auf Scheinselbständigkeit hin?
Selbstständige, die in keinem abhängigen Arbeitsverhältnis stehen, sind grundsätzlich nicht verpflichtet Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungen abzuführen.

Ebenso müssen Selbstständige keine Beiträge an die Sozialversicherung leisten. Da dem deutschen Staat daran gelegen ist, die Steuereinnahmen bzw. Einnahmen in Sozialkassen zu erhöhen, toleriert er keine Scheinselbstständigkeit, wenn der Verdacht auf eine abhängige Beschäftigung vorliegt.

Häufig handelt es sich um einen komplexen Entscheidungsprozess, wenn bewertet wird, ob eine abhängige Beschäftigung oder Selbstständigkeit vorliegt. Sind Sie sich dabei unsicher, kann die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund bei der finalen Klärung helfen. Kommt die Rentenversicherung Bund auf Sie mit einem Verdacht der Scheinselbstständigkeit zu, müssen Sie den Verdacht ernst nehmen, da bei Falschangaben Nachzahlungen drohen.

Eine Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine Person zwar nach außen (z.B. mit einem Werkvertrag) als selbstständiger Unternehmer auftritt, ihre Aufgaben aber wie ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer erfüllt. Anhaltspunkte für Scheinselbstständigkeit sind:

  • Unmittelbare Weisungsbefugnis des Auftraggebers
  • Feste Arbeitszeiten (z.B. Schichtdienst etc.)
  • Reporting-Pflichten gegenüber dem Auftraggeber
  • Die feste Integration in Prozesse und sonstige Infrastruktur des Auftraggebers
  • Feste Bezüge
  • Urlaubsanspruch und/oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Scheinselbstständigkeit – typische Beispiele aus der Praxis
Mögliche Scheinselbstständigkeit – Beispiel 1:
In einer Designagentur wird eine ehemalige Angestellte nach der Elternzeit erneut beschäftigt – allerdings auf freiberuflicher Basis. Nach einiger Zeit ist der Alltag eingekehrt und der Arbeitsumfang ist dem eines Vollzeitjobs vergleichbar. Durch diese tägliche Routine hat sie keine Zeit mehr für andere Kunden, sie ist regelmäßig in der Agentur und erledigt dort spontan Aufträge, nutzt die Rechner und Grafikprogramme der Agentur und stimmt Urlaube mit den dort festangestellten Kollegen ab. Hier besteht ein hohes Risiko, dass Scheinselbstständigkeit besteht und der Zoll aktiv wird. Das Risiko: Der Scheinselbstständige müsste seinen Arbeitnehmeranteil der SV-Beiträge und die Lohnsteuer für die vergangenen 3 Monate nachzahlen, der Arbeitgeber ggfs. für weiter zurückliegende Zeiten. Für weiter zurückliegende Zeiträume muss der Arbeitgeber dann sogar beide Beitragsanteile tragen: die des Arbeitnehmers und die eigenen.

Mögliche Scheinselbstständigkeit – Beispiel 2:
Einem LKW-Fahrer wird nach langer Arbeitslosigkeit angeboten, als selbstständiger Fahrer für eine Spedition zu arbeiten. Der Auftraggeber stellt ihm ausreichend Aufträge und einen Transporter zur Verfügung. Die Spedition integriert den vermeintlich selbstständigen Fahrer fest in ihre Fuhren/Transportplanung und entscheidet, wann die Aufträge abgearbeitet werden. Da der Auftraggeber den Transporter zur Verfügung stellt und die Aufträge nach seinen Vorstellungen abgearbeitet werden, liegt hier aus Sicht der Rentenversicherung eine Scheinselbstständigkeit vor.

Scheinselbstständigkeit vorbeugen: Darauf sollten Selbstständige und Arbeitgeber achten
Um einen Verdacht der Scheinselbstständigkeit zu vermeiden, sollten Sie sicherstellen, dass Sie folgende Konstellationen vermeiden:

  • über längere Zeit nur einen Auftraggeber (soweit auch andere Merkmale auf eine Beschäftigung hindeuten)
  • kein eigener Unternehmensauftritt nach außen (weder Werbung, noch Buchführung)
  • Weisungsgebundenheit gegenüber dem Auftraggeber
  • Teilnahme an regelmäßigen internen Briefings und Meetings des Auftragsgebers
  • Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers

Umgekehrt haben Sie nach den Richtlinien der Rentenversicherung ein geringes Risiko für Scheinselbstständigkeit, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

  • freie Ortswahl und Zeitplanung
  • freie Honorarverrechnung
  • eigene Betriebsstätte
  • im Zusammenhang mit der Tätigkeit Beschäftigung eigener Angestellter
  • Einsatz von Arbeitskraft und Kapital auch unter der Gefahr des Verlustes

Steuerrechtliche und arbeitsrechtliche Konsequenzen bei Scheinselbständigkeit
Eine Überprüfung, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, kann zum einen selber beantragt werden und zum anderen durch einen Verdacht vom Finanzamt oder der Rentenversicherung angestoßen werden. Hat ein Selbstständiger den begründeten Verdacht, dass er durch die Rahmenbedingungen eines Auftraggebers Gefahr läuft als scheinselbstständig eingestuft zu werden, kann er bei der Deutschen Rentenversicherung eine freiwillige Prüfung auf Scheinselbstständigkeit beantragen.

Äußert das Finanzamt oder die Rentenversicherung einen Verdacht auf Scheinselbstständigkeit, kann das eine Betriebsprüfung für den Selbstständigen bedeuten. Wird eine Scheinselbstständigkeit von der Rentenversicherung Bund festgestellt, zieht das die folgenden steuer- und arbeitsrechtlichen Konsequenzen nach sich:

  • Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen nach Entdeckung der Scheinselbstständigkeit die neue steuerrechtliche Situation sortieren und haften für Nachzahlungen als Gesamtschuldner. Sämtliche Lohnsteuer- und SV-Beiträge müssen nachgezahlt werden.
  • Ehemalige Selbstständige können nach der Feststellung einer Scheinselbstständigkeit ihren Arbeitnehmerstatus einklagen. Hat ein Scheinselbstständiger damit vor dem Arbeitsgericht Erfolg, ist der vermeintliche Selbstständige auf einmal ein Angestellter – mit allen Rechten und Pflichten, inklusive der Sozialversicherungspflicht.
  • Sozialversicherungsbeiträge müssen vom Auftraggeber nachgezahlt werden, sogar für den komplett nachgewiesenen Zeitraum der Scheinselbstständigkeit (bei Vorsatz bis 30 Jahre, abzgl. der letzten 3 Monate). Der Auftragnehmer haftet maximal 3 Monate rückwirkend für nicht gezahlte Beiträge.

Checkliste Scheinselbstständigkeit
Die Clearingstelle ordnet anhand der Checkliste zu, welche Art der Beschäftigung vorliegt. Sind die folgenden Sachverhalte erfüllt sind, sprechen diese entweder für eine Selbstständigkeit oder eine angestellte Beschäftigung (Risiko der Scheinselbstständigkeit).

Arbeitnehmer: Selbständige:
Vorgabe der Arbeitszeit, Teilnahme am Gleitzeitverfahren, Bedienen von Zeiterfassungsgeräten (Stechuhren) keine Zeiterfassung durch Auftraggeber, ggf. nur zeitlich gebunden an Öffnungszeiten
Urlaubsansprüche Freizeit wird durch die Auftragslage bestimmt
Anweisungen zur Art der Tätigkeit, Vorgabe von verrichtungswegen, Arbeitsanweisungen, festgelegtes Aufgabengebiet lediglich Resultat ist maßgebend, unabhängig vom zeitlichen Aufwand
Arbeiten müssen in eigener Person erbracht werden Beschäftigung von versicherungspflichtigen Arbeitnehmern
festgelegter Arbeitsort, bei Außendienstlern: festgelegtes Einsatzgebiet freies Agieren oder Handeln, ggf. auch international
Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall, feste Bezüge kein Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall, Betriebsrisiko aufgrund eingebrachter Materialien oder Werkzeuge
früher bereits in der gleichen Tätigkeit bei diesem Auftraggeber beschäftigt gewesen Werbung mit eigenem Corporate Design und eigener Webseite

 

Stand: 29.05.2018

 

Ein Beitrag unserer/s Leserin/s Patrick Ulmer aus Naumburg in Hessen.
Ende des Beitrags 1-2018-177-1114-3  
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