Pubertät – Gehirn im Ausnahmezustand – ein Ratgeber für Erwachsene

Eltern würden viel darum geben, ihren Kindern in dieser schwierigen Phase in den Kopf schauen zu können. Forscher haben genau das getan und werben um Verständnis für die Teenager.

Wenn Kinder für ihre Eltern auf einmal ein Rätsel sind, hat die Pubertät begonnen. Das Interesse für die Schule sinkt. Wichtig ist nur noch, was die Clique macht. Es geht ums Ausprobieren: Zigaretten, Alkohol oder einfach nur Haare färben. Mütter und Väter stehen vor verschlossenen Kinderzimmertüren, hinter denen laute Musik dröhnt, und grübeln: Was geht da bloß gerade im Kopf des Nachwuchses vor?

Diese Frage stellen sich auch Neurowissenschaftler. Um Antworten zu finden, schauen sie Jugendlichen mit modernen bildgebenden Verfahren tatsächlich ins Gehirn. Für die Forschung ist diese Lebensphase höchst spannend. Nicht wegen der körperlichen Entwicklungen, die Teenager durchlaufen, sondern wegen der psychosozialen Veränderungen. Hinter der Stirn von pubertierenden Kindern findet ein riesiges Umbauprojekt statt. Das Gehirn formiert sich neu – in zeitversetzten Bauphasen.

Von Gefühlen regiert

Das limbische System, das für die Verarbeitung von Emotionen, Impulsen und Bewegungen zuständig ist, reift schneller. Das Vorderhirn wird erst zum Schluss fertig, so eine Neuropsychologie-Professorin an der Uniklinik Aachen, die bereits die Gehirne von Hunderten Jugendlichen analysiert hat. Doch gerade das Vorderhirn ist für das Zusammenspiel der anderen Areale im Gehirn sehr wichtig. Es ist sozusagen die Kommando-Zentrale. Es regelt emotionale Prozesse, kann Vorsicht und Vernunft einschalten, planen und entscheiden.

Das Ungleichgewicht in der Hirnentwicklung begünstigt das typische Pubertätsverhalten: sehr risikoreich, an sofortiger Belohnung interessiert, wenig die langfristigen Folgen abschätzend. Solange das Vorderhirn nicht ausgereift ist, haben Gefühle die Oberhand.

Deswegen interessiert Jugendliche auch oft der Schulunterricht nicht. Teenager sind durchaus aufnahmefähig, ihr Gehirn ist sogar besonders sensibel für Lernerfahrungen. Aber emotionale Anreize sind gefragt, etwa die Aussicht auf einen gemeinsamen Erfolg. Als Beispiel die Initiative „Be smart – Don’t Start“, bei der sich Schulklassen als Gruppe gemeinsam verpflichten, nicht mit dem Rauchen anzufangen. Wenn sie dieses Ziel erreichen, können sie Preise gewinnen.

Schneller im Denken

Nicht nur die einzelnen Bauteile des Gehirns verändern sich, sondern auch die bereits in der Kindheit ausgebildeten Nervenfaserverbindungen dazwischen. So wie im Kinderzimmer altes, mittlerweile unbrauchbares Spielzeug ausgemistet wird, verschwinden im Oberstübchen überflüssige Verbindungen. Übrig bleiben nur diejenigen, die am meisten gebraucht werden. So bildet sich ein sehr effizientes Netzwerk mit Hochgeschwindigkeits-Bahnen. Damit werden die Jugendlichen schneller und flexibler im Denken.

Moderne Bildgebungsverfahren ermöglichen Wissenschaftlern, diese Entwicklung noch besser zu verstehen. Früher konnte man die Nervenfaserverbindungen nur ganz grob sehen, jetzt geht das sehr genau bis auf Millimeter. Ein Heidelberger Kinder- und Jugendpsychiater leitet eine große Pubertätsstudie. Bei 120 Jungen und Mädchen zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr werden jeweils über drei Jahre hinweg Kernspin-Aufnahmen vom Gehirn gemacht. Außerdem beantworten die Kinder Fragen und lösen Aufgaben.

So will man sehen, inwiefern die Stärke der Verbindung Einfluss auf die Verarbeitung von Informationen und Gefühlen hat. Hängt zum Beispiel die Reaktionszeit davon ab, wie die Nervenfaserstrukturen ausgebildet sind?

Auf der Suche nach Kicks

Auch der Stoffwechsel von Hormonen und Botenstoffen ändert sich während der Pubertät stark. Beispielsweise wird im Gehirn mehr Dopamin ausgeschüttet. Der Botenstoff, der anregend wirkt, verstärkt wahrscheinlich die Freude am schnellen Kick.

Für diesen Kick braucht es in der Jugend oft die Anerkennung durch Freunde, durch die sogenannte Peergroup. Amerikanische Psychologen  haben in einem Experiment veranschaulicht, wie Teenager ihre „Belohnung“ durch Gleichaltrige suchen – und wie sich dies im Gehirn zeigt.

Die Studienteilnehmer sollten mit einem Fahrsimulator so schnell wie möglich an ein Ziel gelangen. Waren die 14- bis 18-Jährigen alleine unterwegs, fuhren sie nicht riskanter als andere Altersgruppen. Saßen aber Freunde dabei, fuhren sie schneller und bauten mehr Unfälle.

Anfällig für seelische Probleme

Indessen zeigte sich in ihren Gehirnen mehr Aktivität im Belohnungsareal und weniger Aktivität im Bereich für Kontrolle von Impulsen und Emotionen. Es ist faszinierend zu sehen, dass das Belohnungssystem dann stärker feuert. Die Jugendlichen verhalten sich nicht nur anders, sie erleben auch anders, so die Wissenschaftler.

Mit den Erkenntnissen aus der Hirnforschung könnten künftig seelische Leiden effektiver behandelt werden. Denn fast jede zweite psychiatrische Erkrankung beginnt in dieser sensiblen Zeit der Pubertät: Angststörungen, Depressionen, Impulskontrollstörungen, aber auch das Borderline-Syndrom und Suchterkrankungen. Viele Jugendliche haben depressive Symptome oder probieren Drogen aus, nicht alle werden tatsächlich psychisch krank. Doch diejenigen, bei denen sich ein Leiden entwickelt, könnten früher identifiziert werden.

Wenn man die normale Gehirnentwicklung während der Pubertät besser versteht, könnte man im nächsten Schritt abweichende Veränderungen besser erkennen – und früher einschreiten, bevor sich etwas zu einer psychiatrischen Erkrankung auswächst.

Der Zustand des Gehirns wäre damit einer von mehreren Faktoren im Risikoprofil – zu dem etwa auch die Gene, die Hormone sowie das soziale Umfeld zählen.

Erste Erklärungen für geschlechtsbezogene Unterschiede bei psychischen Krankheiten gibt es bereits. Erst ab der Pubertät bekommen nämlich Mädchen eher Depressionen und Ängste als Jungen. Bei den weiblichen Teenagern werden dann verstärkt Östrogene gebildet. Zudem entwickelt sich das Angstzentrum im Hirn, der Mandelkern, früher und anders. Das bei Jungen ausgeschüttete Testosteron führt zu einer Vergrößerung des Mandelkerns und ist möglicherweise ein Schutz vor starken Stimmungsschwankungen.

Noch nicht erwachsen

Auch ein Zusammenhang mit der Durchblutung ist möglich. Bei Mädchen wird das Gehirn viel früher stärker durchblutet als bei Jungen. Allein die Biologie macht junge Frauen aber nicht psychisch krank. Da müssen viele Faktoren dazukommen. Etwa chronisches Mobbing in der Schule oder eine extreme Streitbeziehung der Eltern.

Die besondere Sensibilität des Gehirns ist am 18. Geburtstag übrigens nicht vorbei. Das Erwachsenwerden des Gehirns kann sich bis ins 24. Lebensjahr ziehen.

 

Ein Beitrag unserer/s Leserin/s Linni Seubert aus Geesthacht in Schleswig-Holstein.
Ende des Beitrags 1-2016-187-1514

Beitrag teilen

Newsletter

Abonnieren Sie unseren Newsletter:

Erhalten Sie einmal in der Woche eine E-Mail mit unseren neuesten Beiträgen.
Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*