Haben Orchideen eine Botschaft? – Die Frage des Tages

Wenn Pflanzen zum Beispiel von einem Elternteil eine Erbanlage für rote Blüten und vom anderen eine für weiße vererbt bekommen, werden sie als mischerbig bezeichnet.

Seit Langem gibt es unter Erbgutforschern die Vermutung, dass solche Pflanzen Artgenossen, die nur Erbanlagen für eine Farbe besitzen, die also reinerbig sind, Überlegen sein könnten. Biologen verbinden diese Überlegenheit mit dem Fachbegriff Überdominanz. Wie ist es ihnen gelungen, dieses Phänomen bei Pflanzen zu belegen?

Antwort: Zu den biologischen Fachausdrücken, die auch Laien immer wieder begegnen, gehört die englischsprachige Wendung „survival of the fittest“. Sie geht auf den britischen Naturforscher Charles Darwin (1809 bis 1882) zurück, den Begründer der modernen Evolutionstheorie, und bedeutet, dass die am besten angepassten Individuen überleben. Mit fit im Sinne von stark oder durchtrainiert hat der Ausdruck nichts zu tun. Nach der Evolutionstheorie entwickelt sich das Leben aufgrund zahlloser kleiner Veränderungen in Organismen weiter. Welche dieser Veränderungen sich durchsetzen, hängt von der natürlichen Auslese ab, der Selektion. Viele Nachkommen von Lebewesen sterben noch vor der Geschlechtsreife. Aus dieser Tatsache zog Darwin den Schluss, dass es erbliche Unterschiede gibt, die sich positiv oder negativ auswirken können. Bestimmte Merkmale von Lebewesen erweisen sich unter bestimmten Bedingungen als Vorteil, so dass sie mehr überlebensfähige Nachkommen hervorbringen können.

Dem Phänomen der Überdominanz ist eine Gruppe von Forschern von der Universität Cambridge und der Universität Hohenheim in Stuttgart am Beispiel des Schwarzen Kohlröschens, einer in den Alpen verbreiteten Orchideenart, auf den Grund gegangen. Ein Botaniker hatte bei Wanderungen in Südtirol bemerkt, dass die Pflanze mit normalerweise sehr dunklen, fast schwarzen Blüten dort auch in anderen Farbvarianten vorkommt, das heißt mit roten und weißen Blüten. Wie er und seine Kollegen erklären, weisen auf der Seiser Alm zehn Prozent der Pflanzen weiße Blüten auf, 28 Prozent rote und 62 Prozent sehr dunkle. Nach ihren Angaben ist der Anteil der Pflanzen mit roten und weißen Blüten zu groß, um diese Varianten allein auf spontane Mutationen zurückzuführen, das heißt auf zufällige Veränderungen von Genen. In einer Mitteilung der Universität Hohenheim wird der Botaniker mit diesen Worten zitiert: „Es gibt zwar immer mal vereinzelt Exemplare in anderen Farben, aber sie verschwinden wieder, wenn sie keinen Selektionsvorteil haben.“

Bei der Durchsicht von Aufzeichnungen anderer Fachleute fanden die Forscher, die ihre Erkenntnisse vor einiger Zeit im Fachjournal „Nature Communications“ vorgestellt haben, Hinweise, dass der Anteil der Pflanzen mit weißen und roten Blüten im Zeitraum von 1997 bis 2016 von weniger als fünf auf ungefähr 40 Prozent gestiegen ist. Sie werteten dies als Anzeichen dafür, dass die roten und weißen Varianten dem dunklen Wildtyp überlegen sein könnten. Den Grund dafür vermuten sie bei den wichtigsten Bestäubern des Schwarzen Kohlröschens, den Bienen und Fliegen. Während die Bienen den Expertenangaben zufolge die dunklen Blüten bevorzugen, ziehen Fliegen die weißen vor. Die roten aber, so heißt es, würden von beiden Gruppen aufgesucht. Die Folge sei, dass sich die rote Variante am stärksten vermehre.

Wie nähere Untersuchungen zeigten, hängt die Farbe davon ab, ob ein bestimmter Eiweißstoff – ein sogenannter Transkriptionsfaktor – ein für Farbpigmente zuständiges Gen aktiviert oder nicht. Die Pflanzen mit roten Blüten sind nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler mischerbig, weil sich die Transkriptionsfaktoren der beiden Elternteile unterschiedlich verhalten. Bei den beiden anderen Farbvarianten wirkten die Faktoren jeweils gleich – entweder beide in der gleichen Weise oder, bei der weißen Variante, beide überhaupt nicht. Die mischerbige rote Variante weise mit ihrer höheren Anzahl von Samen gegenüber den anderen Varianten eine größere Fitness auf. Das bedeute zugleich, dass sich mit der Überdominanz die farbliche Vielfalt des Bestandes erklären lasse.

Als Orchideenart gehört das Schwarze Kohlröschen einer großen Familie an. Orchideen zählen zu den Blütenpflanzen, die von Fachleuten als Bedecktsamer bezeichnet werden und mit weit mehr als 200.000 bekannten Arten die größte Pflanzengruppe bilden. Die Zahl der Orchideenarten wird weltweit auf 15.000 bis 30.000 beziffert. Die Zahl der wild wachsenden Orchideenarten in Deutschland geben Experten mit einigen Dutzend an. Während die hierzulande verbreiteten Orchideen auf Böden wachsen, gedeihen in den Tropen viele dieser Pflanzen als sogenannte Aufsitzer in Baumkronen.

 

Ein Beitrag unserer/s Leserin/s Pat Hinters aus Wusterhausen in Brandenburg.
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