Dürfen Kranke autofahren?

Herzfehler, Diabetes, Epilepsie: Für Menschen mit schweren oder chronischen Krankheiten ist der Führerschein keine Selbstverständlichkeit. Wer richtig mit seiner Krankheit umgeht, muss sich jedoch um seine Fahrerlaubnis keine Sorgen machen.

Drei Betroffene: Mit leichten Kopfschmerzen stieg ein heute 23jähriger Münsteraner in sein Auto. Der damals 20jährige war erst kurz unterwegs, dann musste er anhalten, weil ihm schwindelig wurde. Er schnappte frische Luft, fühlte sich besser und fuhr weiter. Kurz darauf verlor der junge Mann das Bewusstsein. Sein Wagen steuerte in den Gegenverkehr. Wie durch ein Wunder blieb es bei einem Blechschaden. Wenige Monate später bekam der junge Mann ein Schreiben von der Führerscheinstelle. Seine Kraftfahreignung sollte überprüft werden. Für den Münsteraner brach eine Welt zusammen. Durch einen angeborenen Herzfehler war er Einschränkungen gewöhnt, aber er hatte sich im Alltag gut mit seiner Krankheit arrangiert. Er hatte einen angeborenen vierfachen Herzfehler, eine Fallotsche Tetralogie. Mit drei Jahren wurde er operiert. Mit einer positiven Lebenseinstellung fuhr der junge Mann immer gut im Leben, Damit fuhr er immer gut, auch im Straßenverkehr. Er machte mit 18 seinen Führerschein, nachdem nie wieder akute Beschwerden aufgetreten waren. Die Verantwortung, Auto zu fahren, hätte er sonst nie übernommen.

Aber wer darf in Deutschland mit welcher Krankheit ans Steuer? In § 2 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) steht: „Wer sich infolge körperlicher Mängel nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet.“

Doch was sind körperliche Mängel? Was meinen die Behörden mit Vorsorge? Und wie erfahren sie überhaupt von einer chronischen Krankheit? Jeder Führerscheinneuling wird in seinem Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis aufgefordert, freiwillig Angaben über seinen Gesundheitszustand zu machen. Erfährt die zuständige Fahrerlaubnisbehörde von schweren oder chronischen Krankheiten, muss sie einschreiten. Dazu gehören Herzerkrankungen, Diabetes, Lungen- und Bronchialleiden (z. B. Asthma) und neurologische Erkrankungen, wie Epilepsie oder Schlafapnoe. Die Führerscheinstelle ordnet dann eine amts- oder fachärztliche Untersuchung an.

Die Ärzte gehen nach den ‚Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung‘ vor und stellen fest, ob jemand den Führerschein machen oder behalten darf. Manchmal sind bestimmte Auflagen nötig, z. B. regelmäßige Gesundheitschecks. Der Münsteraner ging nach dem Unfall zum Spezialisten. Er konnte sich die Bewusstlosigkeit einfach nicht erklären. Im Zentrum für ‚Erwachsene mit angeborenem Herzfehler‘ (EMAH) der Universitätsklinik Münster werden ausschließlich solche Patienten behandelt. Davon gibt es in Deutschland z. Zt. Ca. 250.000. Die Ärzte fanden bei dem v. g. jungen Mann ein‘ offenes Foramen ovale‘. Das ist ein kleines Loch im Herzen, das mit großer Wahrscheinlichkeit die Ursache für die Ohnmacht am Tag des Unfalls war. Durch einen Herzkathetereingriff wurde das Loch verschlossen. Zwischenzeitlich hatte die örtliche Führerscheinstelle aufgrund des Unfalls des Münsteraners von dessen Vorerkrankung erfahren. Aus Angst, seinen Führerschein zu verlieren, wendet er sich erneut an das EMAH-Zentrum. Die Ärzte bestätigen der Behörde, dass aufgrund der aktuellen Befunde keine Beeinträchtigung der Fahreignung mehr bestand und dass ihr Patient außerdem regelmäßig untersucht wurde und wird.

Angeborene Herzfehler lassen sich je nach Ausprägung der Krankheit sehr gut behandeln. Bei den meisten Patienten spricht nichts dagegen, Auto zu fahren, solange sie sich an die Anweisungen der Mediziner halten. Beim EMAH-Zentrum hat man die Erfahrung gemacht, dass Herzpatienten sehr überlegt mit der Krankheit umgehen, besonders, was das Autofahren betrifft. Juristen weisen grundsätzlich auf die Eigenverantwortlichkeit aller Verkehrsteilnehmer hin. Jeder Mensch hat nicht nur die Freiheit, sondern auch die Verpflichtung, sich im Umgang mit seiner Krankheit verantwortungsbewusst zu verhalten. Er muss sicherstellen, dass er nur dann fährt, wenn er fahrtüchtig ist. Im Führerscheinantrag steht ausdrücklich, dass die Fragen – trotz Freiwilligkeit – wahrheitsgemäß zu beantworten sind. Bei späterem Bekanntwerden von Eignungsmängeln müssen die Betroffenen mit ärztlichen Untersuchungen und der Entziehung der Fahrerlaubnis rechnen. Das kann teuer werden. Erst recht, wenn die Behörde eine aufwendige medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) anordnet.

Kommt es aufgrund einer Erkrankung zum Unfall, drohen straf- und versicherungsrechtliche Folgen. Z. B. Diabetes und Unterzucker: Wird dem Autofahrer nachgewiesen, dass er den Unfall durch fahrlässigen Umgang mit seiner Krankheit verursacht hat, gibt es ähnliche rechtliche Konsequenzen wie bei einer Alkoholfahrt ab 1,1 Promille: MPU, Geldstrafe und Punkte in Flensburg.

Dieses Risiko geht eine 29jährige Bremerin nicht ein. Bevor sie sich ins Auto setzt, misst sie ihren Blutzucker. Ist der Blutzuckerwert nicht okay, lässt sie den Wagen stehen. Sie ist lieber übervorsichtig. Denn wenn ihr Blutzuckerwert zu niedrig ist, bekommt sie Schweißausbrüche, ihre Hände fangen an zu zittern, und sie kann sich nur noch schwer konzentrieren. Im schlimmsten Fall könnte sie das Bewusstsein verlieren. Sie leidet an Typ I-Diabetes, seit sie 14 Jahre alt ist.

Rund fünf Millionen Menschen in Deutschland sind zuckerkrank. Dem Körper fehlt das wichtige Hormon Insulin, welches Zucker in die Zellen transportiert. Deswegen trägt die Bremerin eine Insulinpumpe am Hosenbund, die sie mit Insulin versorgt. Das Hormon gelangt über einen kleinen Schlauch direkt in den Körper. Wer diszipliniert mit seinem Diabetes umgeht, sich an gewisse Spielregeln hält, für den ist Autofahren kein Problem. Die Bremerin hat immer Traubenzucker bei sich und kann sofort reagieren, wenn sich erste Anzeichen einer Unterzuckerung bemerkbar machen.

Jede schwere Krankheit hat ihren individuellen Verlauf. Wie wichtig die Eigenverantwortung des Patienten ist, zeigt auch die Geschichte einer 36jährigen Berlinerin. Den ersten epileptischen Anfall hatte sie vor vier Jahren. Es war ein Sonntagmorgen. Die Berlinerin zog sich gerade an, als sie plötzlich das Bewusstsein verlor. Ihr Erinnerungsvermögen setzte erst wieder ein, als sie auf dem Boden liegend aufwachte. Sie wankte ins Badezimmer. Im Spiegel sah sie ihr rot verschmiertes Gesicht. Blut lief ihr aus den Mundwinkeln. Die Berlinerin hatte sich auf die Zunge gebissen. Sie rief sich ein Taxi und fuhr ins nächste Krankenhaus. Eine Woche blieb sie dort, wurde gründlich untersucht. Doch die Ärzte fanden nichts und empfahlen der Berlinerin, viel zu schlafen und möglichst keinen Alkohol zu trinken. Es half alles nichts. Sieben Wochen später knallte die junge Frau mit dem Kopf auf die Schreibtischplatte, fiel vom Stuhl und blieb zuckend am Boden liegen. Die Ärzte waren sich jetzt sicher: Anke ist krank, sie hat Epilepsie.

Rund 800.000 Menschen in Deutschland leiden an Epilepsie. Das bedeutet, dass sie immer wieder von epileptischen Anfällen heimgesucht werden. Eine Diagnose, die auch das Leben der Berlinerin veränderte. Noch im Krankenhaus teilten ihr die Mediziner mit, dass sie mindestens ein Jahr lang nicht Auto fahren darf. Das Risiko, ausgerechnet am Steuer erneut einen Anfall zu bekommen, war zu groß. Doch für immer muss die Berlinerin nicht auf ein Auto verzichten.

Wann und ob ein Epileptiker wieder fahren darf, entscheiden eine erfolgreiche Therapie, regelmäßige Kontrolluntersuchungen und letztendlich der behandelnde Arzt. Die Chance, anfallsfrei zu werden, hängt von der Ursache und der Art der Epilepsie ab, so das Epilepsie-Zentrum der Universitäts-Klinik München. Es rät Betroffenen, im Zweifelsfall einen Spezialisten aufzusuchen. Anke begab sich in neurologische Behandlung und erhielt ein Mittel gegen die Epilepsie. Mit Erfolg, seitdem sie das Medikament nimmt, hatte sie keinen Anfall mehr. Trotzdem kann niemand ausschließen, dass es wieder passiert. Wenn der zuständige Arzt nach zwölf Monaten ohne Anfälle grünes Licht gibt, dürfen Epileptiker wieder Auto fahren. Danach sollten Patienten einmal im Jahr mit dem Neurologen über ihre Fahrtauglichkeit sprechen. Die Berlinerin genießt heute ihre wiedergewonnene Mobilität. Im letzten Sommer reiste sie mit dem Auto durch Italien.

Die Juristen sind sich einig. Die meisten Menschen mit schweren Krankheiten sind sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst. Das zeigt auch die Statistik, in der medizinische Gründe als Unfallursache nur selten vorkommen. Erwachsene mit angeborenem Herzfehler bekommen Hilfe bei www.emah.de. Weitere Informationen zum Thema Diabetes und Autofahren findet man im Internet u. a. auf www.diabetikerbund.de und www.diabetes.de. Epileptiker erhalten Informationen z. B. bei der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie – www.izepilepsie.de

 

Ein Beitrag unserer/s Leserin/s Florian Küpperst aus Herford in Nordrhein-Westfalen.
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